Die Trauer als Blackbox
Sobald es um Trauer geht, verstecken sich viele Menschen mit ihren gebrochenen Herzen und hätten viel zu sagen, tun es aber nicht. Und weil sich kaum jemand offen zeigt, wissen viele nicht was Trauer ist. Jene, die einen geliebten Menschen verlieren, erfahren etwas komplett Neues und Fremdes in einer Situation, die so schmerzhaft ist, wie kaum eine andere.
Sieben Dinge über Trauer…
… die ich gerne früher gewusst hätte. Es gibt also durch diese beschriebenen Umstände einige Phänomene innerhalb der Trauer, die man dann auf sehr schmerzvolle, umständliche und unglaublich verwirrende Art und Weise selbst lernen muss. Hätte ich persönlich das eine oder andere vorher gewusst, wäre es mir zumindest möglich gewesen Situationen und Reaktionen einordnen zu können. Daher möchte ich hier ein paar Dinge mit euch teilen, die mir persönlich in meiner Trauer aber auch immer wieder in Gesprächen mit Trauernden auffielen:
1. Der Tod ist kein Notfall
Wenn jemand stirbt, dann gibt es nur eine Sache, die wichtig ist: der Abschied
Ich erinnere mich gut, wie ich mitten in der Nacht den Bereitschaftsarzt und den Bestatter anrief, weil ich zum einen natürlich etwas tun wollte und zum anderen das Gefühl hatte, ich müsste das regeln - am Besten schnell. Das war Blödsinn. Wenn jemand stirbt, dann gibt es nur eine Sache, die wichtig ist: der Abschied. Bitte nehmt euch dafür die Zeit, die sich richtig anfühlt. Der Verstorbene darf je nach Bundesland zwischen 24 – 48 Stunden zuhause bleiben. In Krankenhäusern ist es natürlich anders, aber trotzdem sollte einem bewusst sein, dass man auch hier ein Anrecht auf das Abschiednehmen hat. Sucht im Zweifel das Gespräch mit den Ärzten und nehmt euch die Zeit, die euch mit diesem Menschen zusteht.
2. Mit der Trauer kommt die Reue
Jeder, wirklich jeder, empfindet Reue nach einem Tod
Ich vergleiche die Gedanken in der Trauer oft mit dem Karussellfahren. Man denkt über so vieles nach, alles dreht sich, entspricht keiner Ordnung und manchmal wird einem sogar schlecht. Eine Emotion, die in meinem Karussell sehr präsent war, ist die Reue. Der erste Todesfall, der mich sehr mitnahm, brachte dieses Gefühl mit sich und es blieb über Jahre. Mit der Zeit und final mit meiner Ausbildung zur Trauerbegleitung und der Begegnung mit anderen Trauernden, ließ es plötzlich nach, da ich sie überall erkannte. Jeder, wirklich jeder, empfindet Reue nach einem Tod. Manche nur mit einem kurzen Gedanken, andere über Monate oder Jahre hinweg und nicht selten bleibt die Reue ein Leben lang. Mittlerweile betrachte ich sie mehr als einen unbequemen, schmerzhaften Nebeneffekt: Wir bereuen nämlich im Ursprung alle das Gleiche: Nicht mehr Zeit gehabt und genutzt zu haben. Dahinter steht also der Wunsch nach mehr Zeit – natürlich! Natürlich wünschten wir uns alle mehr Zeit vor dem Tod – egal wie viel Zeit wir hatten. Und diese Erkenntnis sollte den Punkt markieren, ab dem wir aufhören uns innerlich zu quälen und das „hätte ich doch“ und „wäre ich mal“ ad acta zu legen.
3. Die Zukunft wird bittersüß
Egal wie viel Raum wir unserer Auseinandersetzung mit der eigenen Trauer geben – die Sehnsucht und Wehmütigkeit wird immer wiederkehren. Denn alles, was wir nach dem Verlust erleben, weist eine Lücke auf. Dieser Mensch wird ewig fehlen, weil wir auch in 5, 10 oder 30 Jahren noch immer in Liebe an ihn denken werden. Ich persönlich könnte zum Beispiel jedes Mal weinen, wenn ich an Weihnachten ohne meinen Vater denke. Feierlichkeiten und schöne Momente, werden uns diese Menschen immer ganz stark und bewusst vermissen lassen und es wird sich sonderbar anfühlen, weil die Sehnsucht und die glücklichen Augenblicke zeitgleich existieren. Wir werden Erfolge und Geburtstage, Hochzeiten und Familienfeste feiern und wir werden einen schönen Weg finden unsere Verstorbenen im Herzen und in Gedanken mitzunehmen. Und wir werden glücklich sein und unser Leben lieben, nur bleiben viele unserer zukünftigen Meilensteine eben bittersüß.
4. Trauer ist unberechenbar
Man hört ja des Öfteren z.B. von Trauer und ihren Phasen, die ein wenig verständlicher machen möchten, wie diese Gefühlswelt aussieht. Doch solche Informationen und starre Abläufe konnten mein Chaos der Trauer niemals spiegeln oder erklären. Allerdings fand ich etwas heraus, das mich zumindest ein wenig auf die Zukunft in Trauer vorbereitete: Bevor es einem tendenziell besser geht, kann es auch noch mal richtig übel werden. Wir sollten also niemals davon ausgehen, dass nach Gemütszuständen wie „gut“ und „besser2 dann „super“ folgt, sondern vielleicht noch ein „furchtbar“ dazwischen rutscht, bevor wir so etwas wie ein „viel besser“ erreichen. Und ich verspreche euch: Es wird wieder besser. Es wird sich vieles verändern aber Glück und Freude werden auch wieder ihren Platz in eurem Herzen finden – direkt neben der Erinnerung an einen wunderbaren Menschen.
5. Man kann weinen oder eben nicht
Es kommt sehr häufig vor, dass unsere Umwelt davon ausgeht, dass wir nahezu durchgehend weinen müssten, wenn wir trauern. Das ist ähnlich wahr wie die Tatsache, dass der Trauerprozess nach wenigen Wochen dann auch vorbei ist.
Genau so individuell wie die Trauer eines jeden ist, so einzigartig sind auch die Ventile und sichtbaren Elemente, wenn wir trauern. Nicht jeder weint viel aber dafür dann manchmal umso mehr, andere weinen sehr viel und wiederum andere weinen wirklich fast überhaupt nicht. Das alles ist völlig normal. Ich habe lange nach einem Ventil gesucht und habe auch sofort gedacht, dass es vielleicht besser wäre weinen zu können, aber das stimmte so nicht.
Weinen ist kein Muss, kann vielleicht helfen aber eben nicht jedem.
6. Reden ist silber, Schreiben ist gold
Wo wir doch gerade vom Weinen als Ventil sprachen – es gibt sehr viele und unterschiedliche Wege, um der Trauer Luft zu machen oder sich mit ihr intensiver auseinanderzusetzen. Wir kennen die Dinge, die uns im Alltag bei Problemen helfen: z. B. ein Telefonat mit einem guten Freund, regelmäßiger Sport oder lange Spaziergänge im Wald. Manchmal können uns diese „alten“ Ressourcen auch in der Trauer sehr gut tun oder aber wir finden neue, kreative Wege. Ich habe in der Trauerbegleitung bisher immer mit kreativen Mitteln gearbeitet und oft fühlt man sehr schnell, ob man sich für das Schreiben, Zeichnen oder eine Art von Werken begeistern kann. Wichtig ist dabei nicht aus künstlerischem Anspruch zu handeln, sondern ein Medium zu finden, das der eigenen Trauer Ausdruck verleiht und uns ein wenig erleichtert. Ich habe bis zu meinem 14. Lebensjahr Gedichte geschrieben und tue es erst seit dem Tod meines Vaters wieder. Es ist ein wahres Geschenk, über welches sich mein Herz ausdrücken darf.
Es lohnt sich einfach mal alles auszuprobieren!
7. Neue Zukunft, neue Menschen
Nach einem Verlust, werden wir sehr schnell spüren, dass die Zukunft ohne diesen Menschen schwer vorstellbar ist. Wenn wir uns damit dann irgendwann arrangiert haben, ist es gut möglich, dass uns neue Bekanntschaften traurig stimmen, weil sie gar nichts mehr mit unserem alten Leben oder der verstorbenen Person zu tun haben. Es gilt diesem Phänomen jedoch mit Liebe und Verständnis zu begegnen. Wir sollten uns alle nicht verschließen, sondern viel mehr lernen unsere Verstorbenen mit in unsere Zukunft zu nehmen und auch neuen Menschen die Chance geben, sie durch Erzählungen und Geschichten kennenzulernen.
Und für den Weg, den ihr noch vor euch habt, ein kleines Zitat, das sehr gut spiegelt, was ich euch in diesem Artikel sagen wollte:
Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.
Dietrich Bonhoeffer
Geschrieben von: Luna Schön
Trauerbegleiterin & Redakteurin bei Emmora